Müllsammlung aus anderer Perspektive
Am ersten Samstag im März 2022 waren 18 Mitglieder des Bund für Umwelt- und Naturschutz dem Aufruf des Vorstandes zu Müll-Sammeln gefolgt. Ziel war es, Bach-Auen am Wächtersbach, Pferdsbach und Raibach von den „Segnungen“ unserer Zivilisation zu befreien.
Archäologen würden in späteren Jahrhunderten die Bachränder besonders an Straßen als wahre Fundgrube schätzen. Sie könnten annehmen, dass es in damaliger Zeit verbreitet war, nicht gebrauchte Gegenstände an Ort und Stelle in die Natur zu entsorgen. Über den sogenannten Müllfaktor könnten sie mit einiger Vorsicht auf die Nutzungsintensität von Verkehrswegen schließen.
Die auffällig hohe Zahl kleiner flacher Glasfläschchen würde wohl schnell mit hochprozentigem Alkohol in Verbindung gebracht, aber die Frage aufwerfen, was Alkohol mit Fortbewegung zu tun hat. – Treibstoff wird es nicht gewesen sein.
Mit aufwändigen Verfahren würde man aus Farbresten die Bilder grässlich verunstalteter Organreste rekonstruieren, die flachgepressten Papierreste als Zigarettenschachteln erkennen und auf das Gesundheitsbewusstsein zu Beginn des 21. Jahrhunderts schließen.
Der merkwürdige Gegensatz der Schutzvorkehrungen in jener Zeit, sichtbar an einem Motorradhelm, der mit vollgesogener Polsterung aus den Bachsedimenten zu bergen war, würde einige Verwunderung hervorrufen.
Rückstände bestimmter standardisierter Verpackungsmaterialien gäben einen Hinweis auf die Nähe zu einer Fast-Food -Filiale und die damaligen Ernährungsgewohnheiten.
Die überaus häufigen Funde von Mikroplastik in vielen Verbindungen würden Altertumsforscher als Rückstände verschiedenster Gegenstände und Verpackungen erkennen. Analog zur Eisenzeit würde jene Zeit „Plastikzeit“ genannt.
Zusammengequetschte Dosen aus Weißblech deuten auf Getränkeverpackungen hin und erinnern an eine Zeit, in der man mit Bodenschätzen und Energie recht verschwenderisch und verantwortungslos umging.
Ein guter Fund: ein alter Autoreifen halb mit Schlamm gefüllt, lässt nach der Analyse von Aufbau und Zusammensetzung, auf die Art der Fortbewegung bei hohen Geschwindigkeiten mit erhöhtem Kraftstoffverbrauch schließen, die man sich damals leisten zu können glaubte.
Der Traum eines Archäologen ist ein Fundstück, das die zweifelsfreie zeitliche Einordnung zulässt. Ein aufgeweichter Packen nicht zugestellter Werbezeitungen des „Odenwald Journal“, datiert auf den 5. März 2022, würde Forscher zum Jubeln bringen.
Verborgen bleiben wird der Nachwelt allerdings der „genussvolle“ Anblick eines ehemals mit Hundeexkrementen angefüllten schwarzen Plastikbeutels, aus dem hunderte weißer Maden wimmelnd hervorquellen.
Neben Müllkippen werden für Archäologen Wege und erst recht Straßen eine wichtige Erkenntnisquelle sein, die ein aufschlussreiches Bild der Zivilisation in einer Wohlstandsepoche mit höchster individueller Freizügigkeit und eingeschränkter sozialer Verantwortlichkeit zulässt.
Am Ende ihrer aktuellen Aktion waren die Müllsammler beeindruckt von der Vielfalt ihrer Fundstücke. Sie haben die Erfahrung einer besonderen Art von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gemacht. Da zu dieser Zeit im Frühjahr die zu suchenden Gegenstände nicht in höherer Vegetation verborgen sondern leidlich gut zu erkennen sind, empfehlen sie daher alle anderen, auch die keisweite Müll-Sammel-Aktionen auf Ende Februar/Anfang März zu legen.